Jugendbildungsstätten: Lern-, Bildungs- und Erfahrungsräume

  • 1.  Demokratieentwicklung: 
    Demokratie als Staatsform, die demokratische Verfasstheit von Gesellschaften müssen immer wieder – in der Generationenfolge – neu gelernt, gelebt und erfahren werden. Demokratien sind immer auch gefährdet, und demokratische Gesellschaften brauchen für ihre Vitalität und Entwicklung sowie die Abwehr von Gefährdungen immer auch Gelegenheiten, Orte und Zeiten, in denen Demokratie gelernt und erfahren wird. Dies gehört – in der Generationenfolge – zu den Bestandsvoraussetzungen einer humanen und sozialen Demokratie. Jugendbildungsstätten leisten einen wesentlichen Beitrag in der Qualifizierung von „personalen Trägern“ von (lokaler) Demokratie und aktiver (verbandlicher) Zivilgesellschaft.

    2.  Subjektentwicklung:
    Die junge Generation wird familiär, schulisch, beruflich und in der freien Zeit auf das Erwachsenenleben – die Integration in die Erwachsenengesellschaft – vorbereitete. Hier wird sie im Rahmen von Vorgaben und Möglichkeiten ausgebildet, lernt Rollen und sich beruflich-sozial zu platzieren. Neben den dabei erworbenen Kompetenzen und Qualifikationen bedarf es in demokratischen Gesellschaften – mit Blick auf eine ganzheitliche Entwicklung und „reife Persönlichkeit“ – weiter eines politischen Bewusstseins und gelebter Teilhabe, moralischer Orientierung und reflektierter Deutung von Realität. Das macht eine „demokratisch bewusste Persönlichkeit“ aus und bezieht sich auf Wissen und Können und vor allem auf die Anerkennung der eigenen Subjektivität sowie die Bildung von humanen Gefühlen. In der Ausprägung dieser Elemente von Subjektentwicklung kommt den Jugendbildungsstätten (und der Jugendarbeit) ein wichtiger Stellenwert zu.

    3.  Demokratie als Lebensform
    Demokratie ist sowohl eine Staats- als auch eine Lebensform, die im Alltag / in der Lebenswelt gelernt, erfahren und eingeübt werden muss. Jugendarbeit und Jugendbildungsstätten sind hier – verbunden mit der Freiwilligkeit der Teilnahme, Selbstorganisation, den eigenen Interessen, Teilhabe und Mitbestimmung – originäre Orte des demokratischen Lebens und Lernens. Hier können – durchaus auch konflikthaft – demokratische Alltagstugenden wie Interessensformulierung, Zuhören, Sich-Einbringen, Aufgaben übernehmen, produktiver Streit, Kompromisse, Nachdenklichkeit und Einmischung gelernt und gelebt werden.

    4.  Normative Orientierungen
    In Abgrenzung zu anderen Lern- und Bildungsfeldern haben Jugendbildungsstätten – bei allen Differenzierungen und unterschiedlichen Schwerpunkten – auch einen gemeinsamen normativen Horizont, der die junge Generation in ihrer Subjektentwicklung begleiten will; er ist mit Emanzipation, Aufklärung, Partizipation, Kritik- und Handlungsfähigkeit ausgewiesen. Dies beinhaltet, einen reflexiven Umgang mit sich und der Welt zu entwickeln, der über das bestehende hinausgeht, Neues und Möglichkeitsräume denkt. Eine solche Erschließung von Realität und (auch utopisches) Weiterdenken gilt für Politik und Gesellschaft wie für die eigene biografische Entwicklung.

    5.  Lern-, Bildungs- und Erfahrungszeiten
    Jugendbildungsstätten bieten eine spezifische, eigenwillige und produktive Zeitverwendung, die quer liegt zu den reglementierten, beschleunigten und verdichteten Zeitverhältnissen – das gilt auch für die Bildungszeit in Schule,

  • Ausbildung und Hochschule. Während Bildungszeit – so das sich verändernde Verständnis – möglichst ohne Zeitverlust und Umwege vor allem der Bewertung, Nützlichkeit und Employability unterworfen ist und effektiv genutzt werden soll („keine Zeit verlieren“, „Zeit ist knapp und Geld“), gilt diese Zeitökonomie für die Jugendbildungsstätten nicht. Hier ist es Eigenzeit der TeilnehmerInnen, kann nachgedacht und können Umwege gegangen werden, kann inne gehalten und Zeit selbstbestimmt verwandt werden. Jugendbildungsstätten bieten – idealtypisch – so etwas wie entschleunigte Zeiten, sie sind „Zeitinseln“ und „Oasen“ in einer sonst beschleunigten Zeit. Die Zeitverwendung ist hier von den jeweiligen Rhythmen und Prozessen des Lernens bzw. der Lernprozesse bestimmt und daher eigenwillig.

    6.  Lern,- Bildungs- und Erfahrungsorte
    Jugendbildungsstätten sind eigensinnige Orte und Räume, in denen es – bei freiwilliger Teilnahme und mit den Interessen der TeilnehmerInnen verbunden – um Lernen, Bildung und Erfahrung geht. Originellen, abgelegenen oder auch ortsnahen Räumen kommt, neben den Themen, der Lerngruppe, den PädagogInnen, eine wichtige Bedeutung zu; sie sind ein eigener „Lernfaktor“, der förderlich oder hinderlich wirken kann. Dabei meint Räume die konkreten räumlichen Bedingungen einer Jugendbildungsstätte, deren Ausstattung und Ressourcen, die Aneignungsmöglichkeiten als sozialer Raum und die Atmosphäre sowie auch die räumliche Umgebung. Wenn die Jugendbildungsstätte einladend wirkt und positive Eindrücke/ Erfahrungen (Erinnerungen) hinterlässt, dann kommen die TeilnehmerInnen gerne wieder.

    7.  Vernetzung und kommunikative Zentren 
    Jugendbildungsstätten kooperieren (projektbezogen, langfristig, systematisch) mit Schulen und der Jugendarbeit, sie sind mit der Kommune bzw. der Region vernetzt und Partner in lokalen und regionalen Bildungslandschaften. Hier bringen sie ihre eigenen Lern-, Bildungs- und Erfahrungswelt ein und stimulieren neue Ideen und Projekte. Diese Praxis macht Jugendbildungsstätten zu wichtigen kommunikativen Zentren und Akteuren, wenn es um Fragen und Themen sowie den Umgang mit der jungen Generation bzw. um Angebote für diese geht.

    8.  Professionalität / Beziehung
    MitarbeiterInnen in Jugendbildungsstätten haben ein eigenes und zugleich komplexes professionelles Profil. Neben den fachlichen Kompetenzen – d.h. dem Wissen und Können zu Themen und Schwerpunkten, ExpertInnen in Jugendfragen – sind es v.a. zwei Dimensionen: In mikrodidaktischer Perspektive ist es die Fähigkeit, Lernprozesse klug zu organisieren und zu steuern, die TeilnehmerInnen einzuladen, zu „begeistern“, neugierig zu machen und deren Aufmerksamkeit zu binden – damit Lern- und Bildungsprozesse möglichst gelingen. Lernen und Bildung ist immer mit Personen verbunden, und MitarbeiterInnen können für Jugendliche interessante, sie begleitende und prägende Erwachsene sein (vielleicht solche, die sie bisher noch nicht kennengelernt haben und an die man sich gerne zurück erinnert). Dann ist es die Fähigkeiten, eine angemessene Infrastruktur und tragfähige Vernetzung zu organisieren, sich als kommunaler und regionaler Akteur und „Bildungspartner“ zu etablieren, der auch politische Prozesse und Entscheidungen im Sinne von Jugendlichen mit beeinflusst.

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